Kristalle aus kalten Atomen

Einer Grup­pe von Hei­del­ber­ger Phy­si­kern ist es gelun­gen, zum ers­ten Mal über­haupt soge­nann­te Pau­li-Kris­tal­le in einem Expe­ri­ment zu beob­ach­ten. Ihre Ergeb­nis­se haben sie Mit­te Janu­ar in Phy­si­cal Review Let­ters ver­öf­fent­licht. Ein ers­tes Manu­skript hat­ten sie bereits im Mai 2020 als Pre­print auf dem arXiv hoch­ge­la­den. Was die­se Pau­li-Kris­tal­le sind, war­um sie span­nend sind und wie die Expe­ri­men­ta­to­ren sie beob­ach­ten konn­ten, möch­te ich ver­su­chen euch hier zu erklären.

(Nicht-)Wechselwirkende Kristalle

Vie­le der all­täg­li­chen Kris­tal­le bestehen auf die eine oder ande­re Wei­se aus elek­trisch gela­de­nen Ionen, also Ato­men, die gegen­über ihrem elek­trisch neu­tra­len „Nor­mal­zu­stand“ zu wenig oder zu vie­le Elek­tro­nen haben. Hier sorgt die elek­tri­sche Absto­ßung glei­cher Ladun­gen dafür, dass die Teil­chen – ver­ein­facht dar­ge­stellt – ver­su­chen, ihren gegen­sei­ti­gen Abstand zu maxi­mie­ren. Mit die­sem rela­tiv ein­fa­chen Bild lässt sich die kris­tal­li­ne Struk­tur vie­ler Fest­kör­per schon recht gut erklären.

Etwas kom­pli­zier­ter wird es zum Bei­spiel bei den Kris­tal­len, die als Schnee vom Him­mel fal­len oder die wir zuhau­se im Eis­fach sehen. Kris­tal­li­sier­tes Was­ser, also „Eis“, lässt sich mit dem Bild von gela­de­nen Teil­chen auf den ers­ten Blick nicht erklä­ren – die Was­ser­mo­le­kü­le sind elek­trisch neu­tral, wie­so soll­ten sie also kris­tal­li­sie­ren? In der Tat ist es so, dass sich auf mikro­sko­pi­scher Ebe­ne klei­ne Ungleich­hei­ten in der Ladungs­ver­tei­lung inner­halb der Mole­kü­le erge­ben (Wissenschaftler*innen spre­chen von einem Dipol­mo­ment). Die­se win­zi­gen elek­tri­schen Ladun­gen rei­chen aus, um für das geord­ne­te, sechs­ecki­ge Mus­ter zum Bei­spiel in Schnee­flo­cken zu sorgen.

Aber was, wenn die Teil­chen tat­säch­lich nicht mit­ein­an­der wech­sel­wir­ken? Was, wenn wir ein­zel­ne Ato­me betrach­ten, die schein­bar nichts von­ein­an­der „spü­ren“. Kön­nen wir trotz­dem einen Kris­tall, also eine räum­li­che Ord­nung, beob­ach­ten? Das Hei­del­ber­ger Expe­ri­ment zeigt: ja! Obwohl die Ato­me in die­sem Expe­ri­ment nicht mit­ein­an­der wech­sel­wir­ken, also zum Bei­spiel nicht elek­trisch gela­den sind, bil­det sich auf win­zi­gen Län­gen­ska­len ein Kris­tall, der expe­ri­men­tell beob­ach­tet wer­den konn­te. Aber wie kann das sein?

Das Pauli-Prinzip

Eines der fun­da­men­ta­len Geset­ze der Natur ist das soge­nann­te Pau­li-Prin­zip. Um zu ver­ste­hen, wor­um es dabei geht, müs­sen wir zuerst ver­ste­hen, wie sich mikro­sko­pi­sche Teil­chen beschrei­ben lassen.

In der Phy­sik ver­wen­den wir dazu die Quan­ten­me­cha­nik. Dabei ord­nen wir einem „Teil­chen“ eine soge­nann­te Wel­len­funk­ti­on \(\Psi\) zu, die – grob gesagt – beschreibt, wo man das Teil­chen mit wel­cher Wahr­schein­lich­keit beob­ach­ten kann. Tat­säch­lich hängt die­se Wahr­schein­lich­keit sogar nur vom Betrag der Wel­len­funk­ti­on ab.

Eine wich­ti­ge Erkennt­nis ist, dass unter bestimm­ten Situa­tio­nen zwei quan­ten­me­cha­ni­sche Teil­chen in jeder Hin­sicht unun­ter­scheid­bar sein kön­nen. In der Pra­xis bedeu­tet das unter ande­rem, dass sich die Ergeb­nis­se von Mes­sun­gen nicht ändern, wenn wir die bei­den Teil­chen aus­tau­schen. Auch die Wahr­schein­lich­keit, über­haupt ein Teil­chen an einem bestimm­ten Ort zu beob­ach­ten, ändert sich also nicht.

Wir kön­nen die­se bei­den Aus­sa­gen zusam­men­füh­ren: Wenn wir zwei Teil­chen ver­tau­schen, so darf sich der Betrag der Wel­len­funk­ti­on nicht ändern. Das heißt, die Wel­len­funk­ti­on selbst darf sich höchs­tens durch ein Vor­zei­chen unter­schei­den. Das erlaubt es uns, Teil­chen in zwei Kate­go­rien zu unterteilen:

  1. Boso­nen, deren Wel­len­funk­ti­on sich beim Ver­tau­schen nicht ändert: \(\Psi(2, 1) = \Psi(1, 2)\).
  2. Fer­mio­nen, deren Wel­len­funk­ti­on beim Ver­tau­schen ein zusätz­li­ches Minus erhält: \(\Psi(2, 1) = -\Psi(1, 2)\).

Wir wol­len uns jetzt unun­ter­scheid­ba­re Fer­mio­nen etwas genau­er anse­hen. Dazu wol­len wir ver­su­chen, zwei Fer­mio­nen am sel­ben Ort zu beschrei­ben. In die­sem Fall ändert sich die Wel­len­funk­ti­on beim Ver­tau­schen nicht, allein des­halb, weil Ver­tau­schen zwei­er unun­ter­scheid­ba­rer Teil­chen am sel­ben Ort tat­säch­lich kei­nen Unter­schied macht. Gleich­zei­tig ändert aber die Wel­len­funk­ti­on ihr Vor­zei­chen, weil wir nach wie vor über Fer­mio­nen spre­chen! Das heißt, wir erhal­ten für die Wel­len­funk­ti­on am Ort \(x\), dass \(\Psi(x, x) = -\Psi(x,x)\). Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, die­se Glei­chung zu lösen, ist \(\Psi(x,x)=0\). Das heißt, die Wahr­schein­lich­keit, zwei Fer­mio­nen am sel­ben Ort zu fin­den, ist Null. Oder in der Spra­che des Pau­li-Prin­zips ausgedrückt:

Zwei Fer­mio­nen kön­nen sich nicht im sel­ben Quan­ten­zu­stand befinden.

Pauli-Kristalle

Eine span­nen­de Kon­se­quenz des Pau­li-Prin­zips ist, dass Fer­mio­nen, die nicht mit­ein­an­der wech­sel­wir­ken, trotz­dem zu „wis­sen“ schei­nen, wenn ein ande­res Fer­mi­on ihnen sehr nahe kommt. Das hat zum Bei­spiel zur Fol­ge, dass unun­ter­scheid­ba­re Fer­mio­nen, wenn sie ein­an­der nahe genug kom­men, kris­tall­ar­ti­ge Struk­tu­ren for­men kön­nen, soge­nann­te Pau­li-Kris­tal­le, die ein­zig durch das Pau­li-Prin­zip ver­ur­sacht werden.

Um sol­che Pau­li-Kris­tal­le im Expe­ri­ment beob­ach­ten zu kön­nen, müs­sen die Teil­chen eini­ge Eigen­schaf­ten erfüllen:

  1. Die Teil­chen müs­sen sehr lang­sam sein, damit wir sie ver­läss­lich beob­ach­ten kön­nen und ins­be­son­de­re ein kla­res räum­li­ches Mus­ter mes­sen können.
  2. Die Teil­chen dür­fen nicht ander­wei­tig mit­ein­an­der wech­sel­wir­ken oder die­se Wech­sel­wir­kung muss extrem schwach sein. Alle elek­trisch gela­de­nen Teil­chen schei­den des­halb aus.
  3. Trotz­dem müs­sen die Teil­chen irgend­wie zusam­men­ge­hal­ten wer­den, damit sie ein­an­der nah genug sind, um einen Effekt des Pau­li-Prin­zips zu beobachten.

Das Experiment

Eine Skiz­ze des Ver­suchs­auf­baus. Die Fer­mio­nen (blaue Kugeln unten) wer­den mit einem star­ken Laser­strahl („Tweezer“) ein­ge­fan­gen. Dabei for­men die Fer­mio­nen auf­grund des Pau­li-Prin­zips ver­schie­de­ne Scha­len (n’s), die schließ­lich auf die Pau­li-Kris­tal­le füh­ren. Die Fer­mio­nen wer­den mit einem Mikro­skop direkt beob­ach­tet. Quel­le: Hol­ten et al., arXiv 2005.03929

Um die­se Vor­aus­set­zun­gen zu erfül­len, haben Wis­sen­schaft­ler in der Grup­pe von Selim Jochim und Phil­ipp Preiss fer­mio­ni­sche Lithi­um-6-Ato­me mit Lasern auf Tem­pe­ra­tu­ren nahe dem abso­lu­ten Null­punkt gekühlt. Kom­ple­xe opti­sche Tech­ni­ken erlau­ben es, die Ato­me ein­zu­fan­gen und im Wesent­li­chen in einer zwei-dimen­sio­na­len Schei­be zu hal­ten. Mit einem wei­te­ren Laser wur­den die Ato­me zum Fluo­res­zie­ren gebracht, um ihre Posi­tio­nen beob­ach­ten zu kön­nen. Durch wie­der­hol­te Mes­sun­gen zeigt sich schließ­lich eine cha­rak­te­ris­ti­sche Ver­tei­lung der Teil­chen­im­pul­se, einer Grö­ße, die aus den expe­ri­men­tel­len Daten abge­lei­tet wer­den kann. Die­se Ver­tei­lung ent­spricht einer regel­mä­ßi­gen räum­li­chen Anord­nung – also dem, was wir nor­ma­ler­wei­se als „Kris­tall“ ken­nen. Weil die Impuls­ver­tei­lung der nicht-wech­sel­wir­ken­den Teil­chen gera­de der Vor­her­sa­ge für Pau­li-Kris­tal­le ent­spricht, kön­nen wir tat­säch­lich von der ers­ten expe­ri­men­tel­len Rea­li­sie­rung die­ser exo­ti­schen Kris­tal­le sprechen.

Impulsverteilung in einem Pauli-Kristall aus drei Teilchen
Beob­ach­te­te (links) und vor­her­ge­sag­te (rechts) Ver­tei­lung der Impul­se der Teil­chen in einem Pau­li-Kris­tall aus 3 Teil­chen. Dunk­le­re Berei­che stel­len Berei­che mit häu­fi­ge­ren Impuls-Wer­ten dar. Quel­le: Hol­ten et al., arXiv 2005.03929

Was bedeutet das?

Die Tat­sa­che, dass das Expe­ri­ment Pau­li-Kris­tal­le fin­den konn­te, ist an sich nicht über­ra­schend. Theo­re­ti­ker hat­ten schon frü­her die Exis­tenz von Pau­li-Kris­tal­len in sol­chen Auf­bau­ten vor­her­ge­sagt (Rak­s­hit et al., Sci­en­ti­fic Report 7, 15004 (2017)). Den­noch ist es jedes Mal wie­der sehr erfreu­lich und beein­dru­ckend, etwas so Fun­da­men­ta­les wie das Pau­li-Prin­zip erneut bestä­tigt zu sehen.

Span­nend ist auch, dass die quan­ten­me­cha­ni­sche Natur der Teil­chen allei­ne schon aus­reicht, um inter­es­san­te Struk­tu­ren – in der Fach­spra­che „Kor­re­la­tio­nen“ – beob­ach­ten zu kön­nen. Eine natür­li­che Fra­ge ist jetzt, wie sich die­se Kor­re­la­tio­nen ver­än­dern, wenn die Teil­chen mit­ein­an­der wech­sel­wir­ken. Auch dazu gibt es natür­lich theo­re­ti­sche Vor­her­sa­gen und Expe­ri­men­te mit kal­ten Ato­men bie­ten dafür eine tol­le Platt­form. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was die Kolleg*innen in der Expe­ri­men­tal­phy­sik als nächs­tes finden!

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