Nachdem in der letzten Woche bei mir nicht so viel spannendes passiert ist, dass ich einen wirklichen Bericht von meiner USA-Reise geben könnte, habe ich mich entschlossen, einen neuen „Plan“ für meinen Blog zu verwenden. In Zukunft möchte ich (ungefähr) jede zweite Woche von meiner Reise berichten und jede andere zweite Woche etwas aus der Physik vorstellen. Wenn mal mehr oder weniger passiert, kann das natürlich etwas variieren, aber so ungefähr ist der Plan. Was meint ihr, klingt das nach einer guten Idee?
Den Aufschlag zu meiner neuen Physik-Reihe macht direkt eines der einflussreichsten Experimente des frühen 20. Jahrhunderts. Vor ziemlich genau 100 Jahren (am 7. oder 8. Februar 1922) haben Otto Stern und Walther Gerlach in Frankfurt einen Versuch durchgeführt, der nicht nur eine spannende neue Eigenschaft von Silberatomen gezeigt hat, sondern ohne den wohl auch die heutige Formulierung der Quantenmechanik nicht denkbar wäre – und mein Forschungsfeld, die theoretische Festkörperphysik, wohl erheblich langweiliger…
Silberatome und ein Magnet
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen Physiker – zu der Zeit praktisch ausschließlich Männer… – in Experimenten erste Quanteneffekte zu beobachten, die sich nicht mit dem bis dahin herrschenden Verständnis der klassischen Physik erklären ließen. Nach und nach entstanden Theorien, die teils so absurd schienen, dass es heftige Diskussionen darüber gab, welche Theorien denn nun richtig oder überhaupt physikalisch zulässig seien.
Anstatt in diese Debatten einzusteigen, möchte ich mir ein Experiment mit euch anschauen. Gerade als Theoretiker (und ehemaliger Kurzzeit-Mathematiker) halte ich die Experimente der damaligen Zeit für grandiose Meilensteine: niemand wusste wirklich etwas sicher und dennoch kamen am Ende so eindeutige Fakten zusammen, dass sich eine saubere Theorie formulieren ließ. Was gibt es schöneres für eine empirische Wissenschaft wie die Physik!?
Zurück zu dem Experiment, das Otto Stern und Walther Gerlach sich ausgedacht hatten. Der technische Fortschritt machte es damals bereits möglich, Silber in einem Ofen so sehr zu erhitzen, dass es verdampft, und daraus einen dünnen Strahl aus einzelnen Silberatomen zu erzeugen. Auch starke Magnetfelder konnte man inzwischen erreichen. Diese beiden Bestandteile (plus einen Schirm zum Auffangen der Silberatome) waren im Grunde schon alles, was für das Stern-Gerlach-Experiment gebraucht wurde:
Zum Zeitpunkt des Experiments hatte man das sogenannte „magnetische Moment“ des Silberatoms bereits genau vermessen. Diese Größe beschreibt grob gesagt, wie sich ein Atom verhält, das durch ein Magnetfeld fliegt. Im Fall des Silberatoms ist der Wert des magnetischen Moments 1 (für die Nerds: 1 bohrsches Magneton). Wir können uns dieses Moment als einen Pfeil vorstellen, der am Silberatom klebt.
Das Experiment läuft nun folgendermaßen ab: die Silberatome werden im Ofen verdampft und aus ihnen ein dünner Strahl erzeugt. Dieser Strahl wird durch ein (inhomogenes) Magnetfeld gelenkt, das überall in eine feste Richtung zeigt, die wir „z‑Richtung“ nennen wollen. Auch dieses Magnetfeld können wir uns als einen Pfeil vorstellen, der eben in z‑Richtung zeigt.
Wenn nun das Atom durch das Magnetfeld fliegt, wird es entlang des Magnetfelds abgelenkt. Wie stark es abgelenkt wird, wird dadurch bestimmt, „wie parallel“ das magnetische Moment und das Magnetfeld sind. Zeigen das magnetische Moment und das Magnetfeld genau in die selbe Richtung, wird das Atom besonders stark in z‑Richtung abgelenkt. Zeigen sie in entgegengesetzte Richtungen, wird das Atom besonders stark in die negative z‑Richtung abgelenkt. Stehen die beiden Pfeile senkrecht aufeinander, findet gar keine Ablenkung statt.
Eins oder Drei?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man allerdings schon bemerkt, dass bestimmte Größen in der Natur ausschließlich in diskreten Werten auftreten – eine der wesentlichen Eigenschaften der Quantenmechanik. Für das Silberatom ist ein solcher Effekt die „Richtungsquantelung“. Wenn wir nun eine bestimmte Richtung festlegen (in unserem Fall die des Magnetfelds), darf nach der Auffassung des frühen 20. Jahrhunderts der Pfeil des magnetischen Moments nur noch in bestimmte Richtungen zeigen: entweder parallel oder entgegengesetzt zum Magnetfeld oder irgendwohin in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld.
Für die Ablenkung der Silberatome im Magnetfeld hat das wesentliche Konsequenzen. Sie können nun nur noch entweder besonders weit in positive oder negative z‑Richtung abgelenkt werden. Oder sie werden gar nicht abgelenkt. Dementsprechend würden wir aufgrund der Richtungsquantelung drei Punkte erwarten, an denen wir Atome beobachten, und dazwischen gähnende Leere.
Zwei!
Als Stern und Gerlach ihr Experiment vorbereiteten, hatten sie wohl erwartet, eine der beiden eben beschriebenen Beobachtungen zu machen. Sie waren sich vermutlich nicht wirklich sicher, welche davon, aber eine müsste es schon sein. Die tatsächliche Beobachtung war allerdings eine andere. Die beiden stellen in der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse erstaunlich sachlich fest:
„Die Aufspaltung des Atomstrahles im Magnetfeld erfolgt in zwei diskrete Strahlen. Es sind keine unabgelenkten Atome nachweisbar.“
Otto Stern, Walther Gerlach, Zeitschrift für Physik 9, S. 349–352 (1922)
Tatsächlich ist dieses Ergebnis für die damalige Zeit sehr erstaunlich! Das magnetische Moment der Silberatome hätte sehr stark darauf hingedeutet, dass mindestens ein Teil der Atome überhaupt nicht abgelenkt werden. Walther Gerlach, der die Experimente vor allem durchführte, hat aber nicht schlecht gemessen, im Gegenteil.
Heute wissen wir, dass das magnetische Moment des Silberatoms mit einer mikroskopischen Eigenschaft eines seiner Elektronen zusammenhängt. Dieses Elektron trägt den sogenannten Elektronenspin, der immer genau einen der Werte +1/2 oder ‑1/2 annimmt, sobald man eine Richtung festlegt. Dieser Spin ist es auch, der auf das Magnetfeld tatsächlich anspricht: dementsprechend gibt es genau zwei Richtungen für die Ablenkung des Atoms. Genau das, was dieses 100 Jahre alte Experiment gezeigt hat.
Der Spin des Elektrons hat viele wichtige Konsequenzen. Ein paar davon werden wir vielleicht in den nächsten Wochen und Monaten hier noch kennen lernen. Auf jeden Fall war das Stern-Gerlach Experiment einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zur heutigen Quantenmechanik.
Warum tust du uns das an?
Ich hoffe, nach diesem langen Artikel über ein vermeintlich einfaches Experiment schwirrt euch nicht zu sehr der Kopf. Falls doch, sagt mir bitte, ab welchem Punkt! (Oder feiert einfach mit mir eine Geburtstagsparty für dieses eindrucksvolle Experiment ? )
Diese entstehende Artikelreihe ist mein Versuch, die wunderbare Welt der Wissenschaftskommunikation ein bisschen zu erkunden. Ich würde gerne üben, mein Wissen über Physik für andere Menschen verständlich(er) aufzubereiten. Insofern bin ich sehr dankbar für jedes Feedback, was ich verständlicher erklären muss, spannender schreiben sollte oder generell verbessern kann! Ich würde mich wirklich über eure Rückmeldungen freuen!
Auch wenn ihr Wünsche habt, was ihr schon immer mal erklärt haben wolltet, sagt mir gerne Bescheid – ich gebe mir auf jeden Fall alle Mühe mit einer Erklärung 🙂
Ein Gedanke zu „Alles Gute zum Geburtstag, Stern-Gerlach-Versuch!“