Nachdem dieses Jahr schon der Stern-Gerlach-Versuch seinen 100. Geburtstag feiern durfte, wird heute, am 4. Juli 2022, das Higgs-Boson 10 Jahre alt – Happy Birthday!
Das gilt natürlich nur, wenn ein Teilchen seinen Geburtstag dann feiert, wenn zum ersten Mal offiziell seine Entdeckung bekannt gegeben wird. Das haben nämlich am 4. Juli 2012 zwei Experimente am Large Hadron Collider (LHC) am CERN getan.
Der Mechanismus hinter dem Higgs-Boson wurde in den 1960er Jahren unabhängig voneinander von einigen Theoretikern postuliert, um den ursprünglich masselosen Elementarteilchen eine Masse zu geben. Dabei wechselwirken die Elementarteilchen mit dem Higgs-Feld, dessen Quanten „Higgs-Teilchen“ genannt werden. Oft wird für diese Wechselwirkung folgende Analogie verwendet:
Auf einer Party stehen viele Gäste in einem Raum. Wenn eine berühmte Person den Raum betritt, drängen sich viele Leute um diese Person. Für sie wird es sehr viel schwerer, sich zu bewegen, als für eine weniger bekannte Person, die von der Menschenmenge kaum bemerkt wird. Auf eine ähnliche Weise kann das Higgs-Feld zu bestimmten Teilchen stärker hingezogen werden als zu anderen und ihnen so (unterschiedliche) Massen geben.
Quantenfelder und Elementarteilchen
In der Teilchenphysik lassen sich viele Phänomene sehr genau durch sogenannte Quantenfelder beschreiben. Diese Felder füllen den gesamten Raum und sind im Prinzip immer da – im Bild oben die Partygäste. In manchen Fällen werden allerdings ihre Effekte deutlicher als in anderen, etwa dann, wenn ihre Feldstärke an einzelnen Orten zunimmt. Das kann zum Beispiel durch die Wechselwirkung mit anderen Quantenfeldern passieren. Quantisierte Anregungen eines Quantenfeldes werden als Teilchen interpretiert, die sich zum Beispiel an einem bestimmten Ort aufhalten können – wie unser Promi in der Analogie.
Der experimentelle Nachweis, dass es das Higgs-Boson (und damit auch das zugrunde liegende Higgs-Feld) wirklich gibt, war sehr aufwändig und es hat beinahe 50 Jahre gedauert, bis im Jahr 2012 endlich endgültig klar war: es gibt das Higgs-Feld und wir verstehen (halbwegs), wie wir seine Anregungen erzeugen und beobachten können.
Die Menschen dahinter
Wie bei vielen Entdeckungen insbesondere in den letzten Jahren, so sind auch an der Erforschung des Higgs-Teilchens unvorstellbar viele Menschen beteiligt gewesen. Zuallererst natürlich all die geschickten Experimentalphysiker*innen, die auch nach 50 Jahren nicht aufgegeben hatten, das Higgs noch zu finden.
Und noch davor natürlich eine Reihe von Theoretikern, die erst auf die Idee kamen, dass es das Higgs-Feld geben könnte und was es alles kann. An erster Stelle natürlich Peter Higgs selbst, der 1964 als erster überhaupt in einer Veröffentlichung die Existenz eines sogenannten skalaren Teilchens postuliert hat, das anderen Elementarteilchen eine Masse geben könnte. Im selben Jahr hatten kurz vorher schon Robert Brout und François Englert bereits den gleichen Mechanismus zur Erklärung endlicher Teilchenmassen beschrieben. Sie hatten allerdings noch nicht explizit von den quantisierten Anregungen des zugrunde liegenden Feldes gesprochen. Etwa gleichzeitig hatten auch Gerald Guralnik, Richard Hagen und Tom Kibble einen ähnlichen Mechanismus vorgeschlagen.
François Englert und Peter Higgs wurde 2013 der Physik-Nobelpreis verliehen „for the theoretical discovery of a mechanism that contributes to our understanding of the origin of mass of subatomic particles, and which recently was confirmed through the discovery of the predicted fundamental particle, by the ATLAS and CMS experiments at CERN’s Large Hadron Collider“.
Häufig übersehen – und fast genau so häufig von Festkörperphysiker*innen erwähnt – wird, dass ein sehr ähnlicher Mechanismus bereits etwas früher im Kontext der Supraleitung von Philip Anderson vorgeschlagen wurde. Deswegen verwenden manche Leute gerne den Namen „Anderson-Higgs-Mechanismus“, insbesondere im Festkörper-Kontext.
Was für eine Überleitung…
Der Kommentar zu Anderson bringt mich hervorragend zu dem Buch, das ich aktuell lese: „A Mind Over Matter“ von Andrew Zangwill beschäftigt sich mit dem Leben von Phil Anderson und „the Physics of the Very Many“. Noch bin ich zwar mit dem Lesen erst in Andersons Studienzeit in Boston, aber bis jetzt gefällt mir das Buch sehr gut. Und ehrlich gesagt macht es auch viel Spaß, in der Biografie eines meiner Physik-Idole über die Orte zu lesen, wo ich vor ein paar Monaten gemütlich Kaffee auf dem Harvard-Campus getrunken habe 😉
Allen, die Lesestoff zum Higgs- und anderen Teilchen suchen, kann ich nur nochmal Frank Wilczeks „Fundamentals“ sehr ans Herz legen. Kürzer geht es mit einem Physik Konkret zum Higgs-Boson oder diesem Artikel darüber, wie das Higgs der Wissenschaftskommunikation geholfen hat. Vielleicht hab ich euch ja neugierig gemacht und ihr möchtet mehr erfahren 🙂